Haben Sie sich nicht auch schon mal gefragt, warum uns manche Momente retrospektiv wie eine Ewigkeit vorkommen, während andere Ereignisse gefühlt nur einen Wimpernschlag angehalten haben? Auch wenn die Gründe hierfür sicherlich vielfältig sind, ist unsere Wahrnehmung von Zahlen hierbei laut neuro-kognitiver Forschung kein gänzlich unbeteiligter Faktor. Viel mehr sprechen bisherige Befunde erstaunlicherweise dafür, dass wir etwa einen bestimmten Zeitrahmen überschätzen, wenn wir innerhalb der jeweiligen Periode mit größeren Zahlen konfrontiert waren.
Wie sehr unsere tägliche Verwendung von Zahlen unsere Wahrnehmung beeinflusst und in vielen Fällen auch oft verzerrt, wird vor allem im Hinblick auf unser Zeitempfinden deutlich. Während uns manche Momente nur sehr kurz vorkommen, empfinden wir andere Momente retrospektiv als sehr lang. Wie die Wissenschaft mittlerweile herausgefunden hat, ist unsere Verwendung von Zahlen zur Quantifizierung von Zeit dabei unter anderem maßgeblich dafür verantwortlich, als wie lang wir rückblickend einen Zeitabschnitt empfinden.
Schon lange herrscht in der Wissenschaft die vorherrschende Überzeugung, dass der Mensch seine Urteile nicht isoliert in einem Elfenbeinturm vollzieht, sondern dass derartige Entscheidungen stets durch Interaktionen mit Reizen der Umwelt vollzogen werden. Gleichermaßen wird dies auch hinsichtlich unseres Zeitempfinden gesehen und durch neue Erkenntnisse gestützt, nach denen wir Zeitperioden als retrospektiv als deutlich länger einschätzen, wenn wir innerhalb besagter Zeitperiode mit tendenziell großen Zahlen konfrontiert waren. Konfrontiert bedeutet hier, dass es bereits ausreicht, wenn wir auch nur große Zahlen angesehen haben!
Das Experiment
Um die Interaktion zwischen der Wahrnehmung von Zahlen und dem persönlichen Zeitempfinden empirisch darzustellen, entwickelten die Autoren um Massimiliano Oliverie (2008) ein Experiment, bei dem die Probanden der Studie bestimmte Zeitperioden schätzen sollten. Innerhalb der einzuschätzenden Zeitperiode wurden den Teilnehmern auf einem Computerbildschirm Zahlen verschiedener Größe für Bruchteile von Sekunden präsentiert. Während die Präsentation der Zahl “5” für alle Teilnehmer als Zeitreferenz galt, wurden bei nachfolgenden Zahlen wie “1” oder “9” die Frage gestellt, ob die Präsentation dieser Zahlen zeitlich länger oder kürzer war als es bei der Zahl “5” der Fall war. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigten hierbei, dass das Zeitempfinden deutlich verzerrt war, da kleinere Zahlen (“1) zu einer Unterschätzung der Zeitperiode führten, während verhältnismäßig größere Zahlen (“9”) zu einer Überschätzung der Präsentationsdauer der Zahlen führten. Dieser Effekt stellte sich hingegen nicht ein, als die Untersuchung mit arabischen Buchstaben wiederholt wurde, insofern die Ergebnisse auf unser Empfinden von Zahlen zurückzuführen sind.
Die Forschung argumentiert hier also klar dafür, dass Zahlen unsere Wahrnehmung in dieser grundlegendsten und essentiellsten Dimension verzerren. Besonders einschüchternd wird diese Erkenntnis allerdings, wenn wir über die Konsequenzen dieses psychologischen Mechanismus für unseren Alltag nachdenken: Wer etwa beruflich viel mit Zahlen und insbesondere großen Zahlen zu tun hat, wird jedenfalls subjektiv und ausgehend von der persönlichen Zeitwahrnehmung länger arbeiten als dies etwa in anderen Berufen der Fall ist.
Oliveri, M., Vicario, C. M., Salerno, S., Koch, G., Turriziani, P., Mangano, R. & Caltagirone, C. (2008). Perceiving numbers alters time perception. Neuroscience letters, 438(3), 308-311.
Vicario, C. M. (2011). Perceiving numbers affects the subjective temporal midpoint. Perception, 40(1), 23-29.